Kaj Osteroth
UND RAUS BIST DU
@ nogallery, Berlin Wilmersdorf

Antje Weitzel, Rede zur Eröffnung am 8. März 2024, Auszüge

In Kaj Osteroths Welt steht der Titel gebende Reim „Und raus bist du“ für das Gefühl, das sie insbesondere mit ihrem Umzug nach Brandenburg begleitet hat und das als Selbstreflektion in einer Vielzahl der hier ausgestellten Arbeiten auftaucht. Die Kunstwerke präsentieren Momentaufnahmen von einem scheinbar unbeachteten Fleck der Welt, einem Ort, geprägt von industrieller Ausbeutung, struktureller Verwahrlosung und dem Gefühl des Abgehängtseins. Dieser Realität versucht die Künstlerin in ihren Arbeiten zu begegnen und sie für sich fruchtbar zu machen, indem sie die hier gefundenen und erfahrenen Perspektiven, Lebenswelten und Geschichten in ihren Bildern sichtbar macht und
miteinander verwebt. Ihr Ansatz folgt dabei der Idee von „Zeug:innenschaft“, die sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht. Dabei geht es um mehr als bloße Beobachtung – es geht um das aktive Zeugnis ablegen, um Solidarität und um ein queer-feministisches, intersektionales Begehren. „Es sind reale Personen und fiktive Figuren, Situationen, Orte und Szenarien, die ich anrufe und hereinlasse, zitiere und ausstatte.“ Sagt die Künstlerin: „Figuren, die mir auf
unterschiedlich intensiv und skurrile Weise in den letzten Jahren begegneten und nahe kamen. Freiwillig, willkürlich oder mit Nachdruck evoziert.“
Und so zeigt Kaj Osteroth in ihren Werken Frauen, die gemeinsam, solidarisch gegen Ungerechtigkeiten und für ihre Rechte einstehen. Sie sind erfüllt von der Idee der „Sisterhood“.
Die Künstlerin erzählt Geschichten, die oft übersehen oder vergessen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das großformatige Tableaux mit dem Titel Bestenfalls Gespenster. Es kommt daher wie ein buntes Generationenporträt in leuchtenden Farben: Oma, Tochter, Enkelin. Doch die Idylle trügt, irgendetwas stimmt nicht. Auf wen zielt die junge Frau mit ihrem Gewehr in Kajs Kirschblüten-Manga Idylle? Die Geschichte führt uns zu einem Gedenkstein, der ein Ereignis im April 1945 benennt. Es liegen keine 1000 Schritte zwischen dem Gedenkstein, und dem Ort, an dem die Männer, derer erinnert wird, ihr Leben ließen. Warum bleibt unklar: Ermordet? An die Wand gestellt? Im Kampf gefallen? Nazis? Täter?
Opfer? Väter? Ehemänner? Die Künstlerin lässt die unterschiedlichen Narrative aufeinanderprallen und zeigt uns, wie wichtig es ist, zuzulassen, multiperspektivisch zu erinnern. Die Künstlerin ermutigt uns, hinter die Fassaden zu blicken und auch dort hinzusehen, wo es wehtut. In response*able drawings. Reading & drawing hat sie die Auseinandersetzung mit Isabell Loreys Buch „Demokratie im Präsens“ gesucht und in eine Serie von Zeichnungen übersetzt.
Inmitten der Krisen und Bedrohungen der liberalen Demokratie hat Isabell Lorey mit ihrer queer/feministischen politischen Theorie eine grundlegende Kritik formuliert an maskulinistischen Konzepten von Volk, Repräsentation, und Institution.
Kajs Arbeiten sind ein persönliche Ausseinandersetzung mit diesen Ideen
und dem Bild des Tigersprungs: „Ein Tigersprung hat die Fähigkeit, das Aktuelle in einem Teil des Vergangenen zu wittern.“ Schreibt Lorey. „Ist er revolutionär, dann ist es ein Sprung, der unter den Bedingungen der herrschenden Klasse ansetzt, mit ihrem Kommando bricht und über sie hinausgeht.“